MINT Studie oder - was schenken wir dieses Jahr?
Insight Austria hat sich dem spannenden Thema angenommen, wie insbesondere Mädchen stärker für technisch-mathematische Bereiche („MINT“) begeistert werden können. Dafür wurde eine groß angelegte Feldstudie mit insgesamt 60 Klassen und über 1000 teilnehmenden Kindern durchgeführt. In diesem Beitrag stelle ich die Studie vor. Was Geschenke damit zu tun haben? Darauf kommen wir noch zurück…
Der Gender-Pay-Gap und MINT
Die Nachfrage nach MINT-AbsolventInnen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) ist hoch, und bereits jetzt gibt es eine Lücke zwischen Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage. Es wird prognostiziert, dass der Bedarf in Zukunft auch in Österreich weiter steigen wird.
Obwohl MINT-Berufe mit einem relativ hohen Gehalt und sicheren Arbeitsplätzen verknüpft sind, entscheiden sich nicht genügend junge Menschen für eine MINT-Karriere. Insbesondere Frauen nehmen eher selten Ausbildungen oder Studiengänge in Bereichen wie Informatik oder Ingenieurswissenschaften auf. Dies befeuert den Gender-Pay-Gap.
Gründe für ein divergierendes MINT-Interesse zwischen Mädchen und Burschen
Es gibt noch nicht genügend empirische Evidenz, um die Frage nach den Gründen für ein unterschiedliches Interesse an MINT zu beantworten. Unsere Studie identifiziert auf Basis einer Literaturanalyse vier mögliche Hemmfaktoren und ist damit eine der ersten, die sich mit diesem Thema aus der verhaltensökonomischen Perspektive beschäftigt:
- Stereotypes Denken, d.h. wie sehr assoziieren Kinder Mathematik mit Burschen und Deutsch mit Mädchen. Verstärktes stereotypes Denken kann die Identifikation mit einem bestimmten Bereich hemmen und dazu führen, dass weniger Interesse in dem Bereich besteht.
- Selbstbewusstsein in MINT, d.h. wie selbstbewusst sind Kinder in Mathematik und trauen sich MINT generell zu. Je mehr ich davon überzeugt bin, dass ich gut in einem Bereich bin, desto stärker könnte auch das Interesse in diesem Bereich sein.
- Growth Mindset, d.h. glauben Kinder eher daran, dass sie ihre Fähigkeiten in einem Bereich durch Übung und Lernen weiterentwickeln können oder aber, dass ihre Fähigkeiten unveränderbar und allein von ihren angeborenen Talenten abhängig sind.
- Wettbewerbsvorlieben, d.h. mögen oder scheuen die Kinder den Wettbewerb mit anderen. MINT-Bereiche gelten als relativ kompetitiv und empirische Evidenz hat bereits gezeigt, dass eine Vorliebe für Wettbewerb dazu führt, dass SchülerInnen sich für einen Schwerpunkt in wissenschaftlich-technischen Bereichen entscheiden.
Die digitale MINT-Plattform
Auf Basis der identifizierten Hemmfaktoren wurde eine Intervention mit dem Ziel entwickelt, das Interesse an MINT zu steigern. Die Intervention ist eine digitale Lernplattform, in der explizit die identifizierten Hemmfaktoren adressiert werden. Ein Team hat sich speziell mit interessanten Problemstellungen rund um das Thema MINT, dem Gestalten von interaktiven Spielen und alltäglichen Cliffhangern beschäftigt, um die Plattform möglichst ansprechend zu gestalten. Zusätzlich wurde die Plattform verhaltensökonomisch angereichert – unter anderem durch Gamification, spielerische Selbsteinschätzung bei Aufgaben und Belohnung.
Die Evaluation erfolgt mit der Methode des Randomized Controlled Trials (RCT). Ein RCT wird oftmals als Goldstandard der ökonomischen Evaluierungsmethoden bezeichnet. Diese Methode erlaubt es, den kausalen Effekt der Webplattform auf das MINT-Interesse zu messen. Dafür wurden 39 Schulen rekrutiert, wovon etwa die Hälfte unsere digitale Lernplattform anwendet (Treatmentgruppe). Die andere Hälfte verwendet eine traditionelle Lernplattform ohne direkten MINT-Bezug (Kontrollgruppe).
Mit weiteren Messinstrumenten aus dem verhaltensökonomischen Experimentallabor wurde evaluiert, wie sich Hemmfaktoren durch das Treatment verändern – damit und mit der vorausgegangenen Randomisierung in Treatment- und Kontrollgruppe können Wirkmechanismen kausal identifiziert und in der weiteren Ausgestaltung gezielt adressiert werden.
Ergebnisse des RCT
Wir finden unter anderem folgende generellen Geschlechterunterschiede:
- MINT-Interesse: Das MINT-Interesse von Mädchen ist ca. 20 Prozent geringer als das von Burschen.
- Selbstbewusstsein/Overconfidence: Burschen überschätzen sich signifikant stärker als Mädchen in Mathematik. Auch in Deutsch überschätzen sich Burschen signifikant stärker als Mädchen, aber nicht ganz so stark wie in Mathematik.
- Wettbewerbspräferenzen: Burschen präferieren häufiger den Wettbewerb als Mädchen. In Mathematik präferieren 66 Prozent der Burschen und 47 Prozent der Mädchen den Wettbewerb. In Deutsch bevorzugen ebenfalls 64 Prozent der Burschen, aber immerhin 55 Prozent der Mädchen den Wettbewerb.
Unsere Lernplattform erhöht das MINT-Interesse von Mädchen signifikant. Das MINT-Interesse der Burschen verändert sich nicht signifikant. Damit wird der Gender-Gap im MINT-Interesse durch unsere Treatment-Plattform um ca. 5,5 Prozentpunkte (entspricht ca. 28 Prozent) kleiner.
Die Treatment-Plattform erhöht das Selbstbewusstsein in MINT sowie die Wettbewerbspräferenzen der Mädchen. Diese beiden Verhaltenstreiber erklären einen Großteil des Treatment-Effekts.
Und, was haben nun Geschenke mit dieser Studie zu tun?
Sogar sehr viel! Unsere MitarbeiterInnen (s. Foto) können ein Lied davon singen. Über 2000 Geschenke haben sie für die VolksschülerInnen in braune Papiersackerl verpackt – von kleinen Geduldsspielen, über Zauberstifte bis zum Styroporflieger. Die Papiersackerl wurden beschriftet mit einer eins, zwei oder drei – je nachdem wie viele Geschenke darin waren. Warum? Normalerweise erhalten TeilnehmerInnen bei ökonomischen Experimenten Geld. Wie viel Geld ist von den eigenen Entscheidungen und meistens auch etwas vom Zufall abhängig. Da wir unseren SchülerInnen der dritten Klasse kein Geld in die Hand drücken wollten, haben wir hierfür Geschenke und ein Punktesystem verwendet – je mehr Punkte die Kinder in unserer Studie verdient haben, desto mehr Geschenke konnten sie am Ende mit nach Hause nehmen.
Weihnachten und MINT
Weihnachten steht vor der Tür. Besonders gerne werden die Kleinsten in den Familien beschenkt – bei uns in der Familie ist dies auf jeden Fall so. Die Puppe für das Mädchen, das Computerspiel für den Bub. Der Bub erhält ein Buch mit Superhelden, das Mädchen über Prinzessinnen. Schon beim Spielzeug und Kinderbüchern kann es anfangen: Wir sollten unser Bewusstsein schärfen für eine mögliche ungleiche Behandlung von Mädchen und Burschen. Diese indirekten und unbewussten Erwartungen können sich auf das tatsächliche Verhalten übertragen (s. auch diesen Blogbeitrag). Carrera-Bahn für ein Mädchen, Nähmaschine für einen Bub – Kindern neue Impulse geben und sie frei spielen und entscheiden lassen, um ihre eigene Interessen zu entdecken und zu entfalten, sollte die Devise beim Beschenken sein.
Weitere Ergebnisse und Details zur Studie
Wenn Sie neugierig auf weitere Inhalte der Studie geworden sind, schauen Sie doch in unseren Projektbericht (hier geht es zum Download). Wissenschaftliche Papiere zu dieser Studie sind in Arbeit und werden 2021 verfügbar sein.