Alternative Wege aus der Arbeitslosigkeit
Langzeitarbeitslosigkeit bleibt ein omnipräsentes Phänomen. Im Jahr 2017 waren über 50.000 Menschen in Österreich seit mehr als einem Jahr erwerbslos, wie der Standard berichtete.
Forschungserkenntnisse aus der Psychologie und Verhaltensökonomie haben gezeigt, dass Arbeitslose, insbesondere jene, welche langfristig davon betroffen sind, „anders“ ticken. Oft kämpfen sie mit Scham und Depression, welches ihnen den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt erschwert. Maßgeschneiderte Programme, die auf Verhaltensänderungen abzielen, können möglicherweise einen wertvollen Beitrag zur Senkung der Arbeitslosigkeit leisten.
Raum zum Scheitern
Langzeitarbeitslosigkeit hat gravierende Folgen für die psychische Gesundheit der Betroffenen. Ob wegen Motivationsverlust, mangelndem Selbstbewusstsein oder sogar Depression ─ Langzeitsarbeitslosen fällt es besonders schwer, zielorientiert der Jobsuche nachzugehen. Die Verhaltensökonomen Mullainathan und Shafir (2013) beschreiben in ihrem Buch „Scarcity“, dass solche Menschen von den Alternativen und Möglichkeiten, die ihnen geboten werden, oft keinen Gebrauch machen. Sie sind unmotiviert, fehlen bei Weiterbildungskursen oder achten nicht auf ihre Kleidung bei Bewerbungsgesprächen.
Das Design des Weiterbildungsangebots kann ihnen den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt erleichtern. Wenn Kurse so gestaltet werden, dass es auch Raum zum Scheitern gibt, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass die TeilnehmerInnen sie erfolgreich abschließen können. Raum zum Scheitern kann es geben, wenn zum Beispiel mehrere gleiche Kurse zeitlich versetzt angeboten werden. Wenn ein Teilnehmer einen Termin verpassen sollte, kann er gleich in einem anderen Kurs diesen Termin nachholen. So braucht man zwar länger, um eine Weiterbildung zu absolvieren, die Ausstiegsrate ist aber, laut Mullainathan und Shafir, auch geringer.
Ein Experiment
Ein gutes Design allein reicht allerdings nicht aus. Die Relevanz der „Menschlichkeit“ wurde eindrucksvoll in einem Experiment von Brenninkmeijer und Blonk (2011) gezeigt. Die ForscherInnen untersuchten die Wirksamkeit zweier Programme zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in den Niederlanden.
Gutscheine zum Einsatz für Weiterbildungen (Treatment 1)
125 TeilnehmerInnen aus der Stadt Lelystad wurden in drei Gruppen eingeteilt. Eine Gruppe bekam einen Gutschein im Wert von 700 Euro, den sie nach Belieben für Weiterbildungen oder sonstige Dienstleistungen einlösen konnte. Individuelle Präferenzen und Verwendungsmöglichkeiten wurden alle zwei Wochen mit BeraterInnen besprochen.
Stärkung des Selbstbewusstseins (Treatment 2)
Die andere Gruppe nahm an einem Programm teil, welches nach dem erfolgreichen JOBS Konzept in den USA gestaltet wurde. Das JOBS Programm wurde in den 1980ern in den USA entworfen. Im Fokus liegt weniger die konkrete Jobsuche, als die Stärkung des Selbstbewusstseins und die Bekämpfung der Anzeichen von Depression bei arbeitslosen Menschen. Durch Brainstormings, Rollenspiele oder Gruppensitzungen lernen die Teilnehmenden, besser mit Rückschlägen umzugehen und erhalten Unterstützung durch die Gruppe. Außerdem haben die LeiterInnen der Workshops eine wichtige Vorbildfunktion. Im Rahmen des niederländischen Experiments nahmen die ProbandInnen innerhalb einer Woche an fünf halbtägigen Lehrveranstaltungen teil. Danach erhielten sie ein bis zweimal im Monat individuelle Beratungen mit den Lehrenden, um das Gelernte zu vertiefen. Die Kontrollgruppe erhielt in diesem Experiment keine Intervention.
Messung des Erfolgs
Die Wirksamkeit des Experiments wurde durch Fragebögen untersucht, die von den Teilnehmenden in regelmäßigen Abständen über einen Zeitraum von 12 Monaten ausgefüllt wurden. Zudem konnten diese angeben, wie zufrieden sie mit der erhaltenen Intervention waren. Vier Dimensionen dienten zur Bemessung des Erfolgs: Beschäftigungsstatus (d.h. ob die Person Arbeit gefunden hat oder nicht), die Absicht sich Arbeit zu suchen, die Intensität der Jobsuche (z.B. wie viele Wochenstunden die TeilnemehrInnen mit Bewerbungen verbracht haben) und die Wahrnehmung der eigenen Fähigkeiten (bemessen z.B. durch Zustimmung zu Aussagen wie „ich kenne meine Stärken und Schwächen bei der Jobsuche“). Alle Angaben erfolgten auf Basis von Selbsteinschätzung.
Unerwartete Ergebnisse der Studie
Das Experiment widersprach den Erwartungen der PolitikerInnen. Obwohl der Intervention mittels des Gutscheins die höchsten Erfolgschancen zugerechnet wurden, lieferte diese die erwarteten Ergebnisse nicht. Es konnte kein positiver statistisch signifikanter Effekt auf die Motivation der ProbandInnen oder deren Erfolgschancen bei der Jobsuche festgestellt werden. Warum ist dem so? Solche Interventionen erfordern ein hohes Maß an Selbstreflexion, welches nicht immer stark ausgeprägt ist. Oft hatten die TeilnehmerInnen keine konkrete Vorstellung von den eigenen Wünschen und Fähigkeiten und konnten ihre Ziele nicht genau definieren. Dies erschwert wiederum die Wahl einer passenden Möglichkeit zur Einsetzung des Gutscheins.
Die JOBS Intervention hingegen beeinflusste positiv die Wahrnehmung der eigenen Fähigkeiten, führte zu mehr Suche nach Arbeit und erzeugte mehr Zufriedenheit unter den TeilnehmerInnen. Die Ergebnisse waren statistisch signifikant. Nach 6 Monaten fanden 26% der TeilnehmerInnen in der JOBS Gruppe Arbeit, im Vergleich zu 11% in der Kontrollgruppe und 9% in der Gutschein Gruppe.
Informationsasymmetrien bekämpfen
Wie entsteht dieses Gefühl von Perspektivlosigkeit bei Arbeitslosen? Oft mangelt es ihnen an Feedback und Information. Man weiß nicht, was man falsch macht, bzw. was man besser machen könnte, oder wo man sich wie bewerben sollte. Dies führt zu einem erheblichen Motivationsverlust. Vor allem bei Langzeitarbeitslosen hat sich gezeigt, dass kleine Motivationsanreize wirksam sein können.
In einem Feldexperiment von Altmann et al. (2018) wurden Betroffenen Broschüren per Post zugeschickt. Diese enthielten Informationen und Tipps zur Jobsuche, sowie positive Informationen zur aktuellen
Wirtschaftslage, die die Betroffenen animieren sollten, sich vermehrt für Stellen zu bewerben. Im Vergleich zur Kontrollgruppe, die die Broschüre nicht erhielten, waren die TeilnehmerInnen nach 12 Monaten kürzer arbeitslos. Obwohl der Effekt klein war (jene Gruppe von Menschen, welche die Broschüre erhielt, war im Durchschnitt 4.7 Tage länger beschäftigt als die Kontrollgruppe), war er besonders ausgeprägt bei Langzeitarbeitslosen. Dies zeigt, dass solche Maßnahmen gerade bei dieser Bevölkerungsgruppe besonders wirksam sein könnten.
Arbeitslosigkeit ist weitaus mehr als ein statistisches Phänomen, das sich mit klassischen ökonomischen Maßnahmen mindern lässt. Interventionen, die von einem nüchternen, rationalen Verhalten der Betroffenen ausgehen, übersehen, welche Verhaltensanomalien Entscheidungen beeinflussen können, wenn soziale Stigmatisierung, Hoffnungslosigkeit oder Depression ins Spiel kommen. Wenn schon eine einfache Informationsbroschüre, die basierend auf verhaltensökonomisch-psychologischen Evidenzen erstellt wurde, ausreicht, um Arbeitssuchende schneller in den Arbeitsmarkt zu integrieren, lohnt es sich darüber nachzudenken, verhaltensökonomische Faktoren bei der Implementierung und Evaluierung von Maßnahmen zu berücksichtigen.
Literatur
Altmann, S., Falk, A., Jäger, S., & Zimmermann, F. (2018). Learning about job search: A field experiment with job seekers in Germany. Journal of Public Economics, 164, 33-49.
Brenninkmeijer, V., & Blonk, R. W. (2011). The effectiveness of the JOBS program among the long-term unemployed: a randomized experiment in the Netherlands. Health Promotion International, 27(2), 220-229.
Mullainathan, S., & Shafir, E. (2013). Scarcity: Why having too little means so much. Macmillan.
https://derstandard.at/2000078795076/Langzeitarbeitslosigkeit-Wenn-die-Arbeit-keine-Zukunft-hat
Titelbild: Randy Jacob (gefunden auf unsplash.com)