
Die gläserne Klippe: Frauen im freien Fall?
In Österreich sind Frauen in Führungspositionen deutlich unterrepräsentiert. Der Anteil von Frauen in den Vorstandsetagen von börsennotierten Unternehmen ist trotz jahrzehntelangen frauenpolitischen Forderungen von 6% in 2017 auf 4,8% in 2018 noch weiter zurückgegangen (Statista, 2018). Im Gegensatz dazu hat Wissenschaft, Wirtschaft und Mediensektor zunehmend Interesse an Frauen in leitenden Positionen, da in einer globalisierten Welt heterogene und innovationsfähige Teams gefordert sind. Wenn die Nachfrage nach Frauen in Führungspositionen groß ist, warum sind über die Jahre sogar weniger Frauen in den Führungsetagen zu finden?
Die gläserne Decke
Eine Erklärung für die wenigen Frauen in Führungspositionen ist die so genannte „gläserne Decke“. Dies beschreibt die unsichtbaren Barrieren für Frauen Führungspositionen zu erreichen, während Männern tendenziell der Weg in die Führungsetage geebnet wird. Männer bekommen in kürzerer Zeit bessere Aufstiegschancen geboten und dies insbesondere in frauendominierten Berufen. Aber in Österreich sieht man nicht nur ein langsames Wachstum der Zahlen, sondern zusätzlich noch einen Rückgang. Woran könnte das liegen?
Analysen können Reproduktion von Vorurteilen sein
Manche würden vielleicht argumentieren, dass Frauen einfach keine erfolgreichen Führungskräfte sind und sich auf der Führungsebene nicht behaupten können. Ein im Jahre 2003 veröffentlichter Artikel in der Britischen Zeitschrift The Times verfolgte genau diese Argumentation. Der Artikel postulierte, dass Britische Firmen finanziell und wirtschaftlich ohne Frauen in Führungspositionen besser aufgestellt wären. Hierfür analysierte der Journalist Judge den Erfolg von 100 „Financial Times Stock Exchange Index (FTSE)“ Unternehmen, in denen Frauen leitende Funktionen innehatten. Der FTSE ist der mit Abstand wichtigste britische Aktienindex. Judge (2003) stellte fest, dass diese Firmen niedrigere Aktienpreise erzielten und weniger erfolgreich waren.
Frauen an die Spitze in der Krise?
Bei einer Re-Analyse der Daten durch Michelle Ryan und Alexander Haslam (2005) konnte jedoch gezeigt werden, dass Organisationen, die in der Krise stecken, häufiger Frauen in Führungspositionen einstellen. Das heißt, Frauen sind nicht die Auslöser für schlechte Unternehmenswerte. Sie werden einfach häufiger in schwierigen Situationen an die Spitze gewählt. Dadurch ist zunächst der falsche Eindruck entstanden, dass Frauen in der Führung der Grund für negative Unternehmenszahlen sind. Ein Phänomen, dass die beiden Wissenschaftler auch als „gläserne Klippe“ bezeichnen.
Die gläserne Klippe
Falls es einer Frau nun gelingt, die gläserne Decke zu durchbrechen, steht eine Frau, im Gegensatz zu Männern, häufig vor der so genannten „gläsernen Klippe“. Die gläserne Klippe ist ein Bild dafür, dass Frauen oftmals in einer schwerwiegenden Krise zu Führungspersonen ernannt werden. Das heißt, ein Unternehmen ist in einer Situation, in der unklar ist, ob das Ruder noch einmal herumgerissen werden kann oder das Unternehmen die Klippe hinabstürzt. Frauen, die in dieser Situation ein Unternehmen übernehmen stehen vor dem Risiko, dass sie als weniger erfolgreich und als „Teil des Problems“ wahrgenommen werden. Hier ist die Gefahr eines Absturzes von der gläsernen Klippe und ein Misserfolg oberhalb der gläsernen Decke größer als unterhalb.
Sind die Journalisten einem Confirmation Bias aufgesessen?
Nun zurück zu der Analyse des Artikels in The Times: Im Nachhinein lässt sich vermutlich ein typischer Confirmation Bias bei dem Journalisten feststellen. Dieser Bias bezeichnet die Tendenz von Menschen, die vorliegende Information so zu interpretieren, dass vorher bestehende Erwartungen bestätigt werden. Judge hatte jedoch einige wichtige Komponenten in seiner Analyse „übersehen“. Insbesondere die zeitliche Dimension und Einstellungspolitik der Unternehmen führte zu dem zunächst negativen Ergebnis.
Die gläserne Klippe in Großbritannien
Ein Beispiel für diese gläserne Klippe ist aktuell in Großbritannien zu finden. Theresa May wurde in der existentiellen Krisensituation durch die Abstimmung für den Brexit mit der Regierungsverantwortung betraut. Mit jeder neuen Abstimmungsniederlage im britischen Parlament wird sie stärker als Scheiternde in der Öffentlichkeit wahrgenommen und kann als Paradebeispiel für die gläserne Klippe gesehen werden. Sie wird mit den Misserfolgen identifiziert, die sie selbst eigentlich nicht verursacht hat.
Ungenutztes Potential
Eine solche Personalpolitik, die Frauen in Führungspositionen „verheizt“, läuft Gefahr zu viel dringend benötigtes und hochqualifiziertes Personal auf dem Arbeitsmarkt ungenutzt zu lassen. Im Jahr 2015 lag der Anteil der Frauen in Österreich mit Akademie- oder Hochschulabschluss leicht über dem der Männer (Genderindex, 2017). Die gut ausgebildeten Frauen sind also vorhanden, sind aber in Führungspositionen nicht in gleichem Umfang repräsentiert.
Was also tun?
Die gläserne Klippe ist kein natürliches und unveränderbares Phänomen. Vielmehr ergibt es sich aus verschiedenen organisationalen Kontexten, wie beispielsweise Bewerbungsprozesse gestaltet sind und Entscheidungsgremien besetzt werden. Es stellt sich die Frage, welche Strategien genau helfen könnten, die Repräsentation von Frauen in nicht prekären Führungspositionen in der Zukunft zu erhöhen.
Homosoziale Reproduktion
Viele Studien konnten bereits zeigen, dass es – je höher eine Stelle in der Hierarchie besetzt war, intransparentere Auswahlverfahren und Kriterien für die Besetzung herangezogen wurden. Ein typisches Problem bei der Besetzung von Führungsposten ist die sogenannte „homosoziale Reproduktion“. Hierbei ist die Bevorzugung von KandidatInnen gemeint, die der eigenen Person demographisch ähnlich sind. Die ausgeschriebene Position wird demnach mit KandidatInnen besetzt, die unbewusst oder bewusst den Auswählenden entsprechen. Raten Sie einmal, wer diese Auswählenden in den Führungspositionen sind – genau, dies sind oftmals männliche Vorgesetzte. Die Auswahlverfahren von Organisationen, die einen Fokus auf individuelle Persönlichkeitseigenschaften haben, sind besonders anfällig für unbewusste Beurteilungsverzerrungen, da diese oft subjektiv bewertet werden (Tondorf & Jochmann-Döll, 2005)
Geschlechterparitätische Auswahlkommissionen als Lösung?
Eine Lösung wäre die gemeinsame Evaluation einer Bewerberin und eines Bewerbers durch eine zahlenmäßig (Männer und Frauen) gleich besetzte Auswahlkommission. ForscherInnen der Harvard Universität konnten zeigen, dass eine solche Praxis nicht nur die Effizienz des Auswahlverfahrens steigert, sondern auch die Gleichberechtigung von Männern und Frauen erhöht (Bazerman, Bohnet & Van Geen, 2012). Dies ist nur ein Beispiel von vielen Lösungsmöglichkeiten, die uns die Verhaltensökonomie an die Hand gibt. Des Weiteren könnten unter anderem Instrumente gegen Beurteilungsverzerrungen, den so genannten „Biases“, transparente und objektive Auswahlverfahren und klare Kriterien entgegengesetzt werden. Es gibt vielfältige Möglichkeiten, qualifizierte Frauen in Führungspositionen zu bringen – und nicht erst, wenn das Unternehmen schon in einer Krise steckt. Also worauf warten wir noch?
Literatur
Bazerman, M. H., Bohnet, I., & Van Geen, A. V. (2012). When Performance Trumps Gender Bias: Joint Versus Separate Evaluation (No. 8506867).
Genderindex (2017). Abgerufen von https://www.bmgf.gv.at/cms/home/attachments/6/9/9/CH1553/CMS1465897036085/ gender_index_2017_stand_10-2017_barrierefrei.pdf
Judge, E. (2003, November 11). ‘Women on board: Help or hindrance?’, The Times, p. 21.
Ryan, M. K., & Haslam, S. A. (2005). The glass cliff: Evidence that women are over-represented in precarious leadership positions. British Journal of management, 16(2), 81-90.
Statista (2018). Abgerufen von https://de.statista.com/statistik/daten/studie/328252/umfrage/frauen-in-fuehrungspositionen-in-oesterreich/
Tondorf, K., & Jochmann-Döll, A. (2005). (Geschlechter-) Gerechte Leistungsvergütung?: vom (Durch-) Bruch des Leistungsprinzips in der Entlohnung. VSA-Verlag.
Titelbild: Jesse Gardner (gefunden auf unsplash.com)