Wie ehrlich sind wir?
In einer der Vorwahlsendungen zur österreichischen Nationalratswahl 2019 wurden die SpitzenkandidatInnen gefragt, ob sie in ihrer Karriere als PolitikerInnen schon einmal unehrlich waren. Auf der Suche nach einer Antwort, drucksten sie herum und versuchten dann eine Situation zu finden, wie beispielsweise eine fehlerhafte Widergabe eines Studienergebnisses bei einem Pressegespräch, die wenig verfänglich ist. Unehrlich sein – damit könnte man ein positives Selbstbild und Reputation verlieren. Doch nicht nur auf persönlicher Ebene kann ein hoher Grad an Ehrlichkeit von Wert sein.
Warum Ehrlichkeit für eine Gesellschaft so wichtig ist
Ehrlichkeit oder Aufrichtigkeit sind nicht nur Tugenden, sondern wichtiger Kitt für das Funktionieren einer Gesellschaft und die ökonomische Entwicklung eines Landes. Wenn Menschen nicht aufrichtig zueinander sind, bedeutet dies in der Folge auch, dass sie womöglich Verträge brechen und den Versprechen anderer nicht mehr trauen. Steuern werden nicht gezahlt und Staaten werden korrupt. Millionen von Euros gehen so dem Staat abhanden. Und wollen wir in einem Staat leben, in dem einer dem Wort des anderen keinen Glauben schenken kann?
Der Zielkonflikt: Ehrlichkeit vs. Eigeninteresse
Warum sind wir nicht einfach immer ehrlich? Ist Ehrlichkeit doch eine so edle Tugend und gibt einem die Möglichkeit, sein eigenes Selbstbild und auch die eigene Reputation aufzupolieren? In vielen Situationen gibt es ein Eigeninteresse, nicht ehrlich zu sein. Nehmen wir das Beispiel Steuern zahlen: Wenn ich nicht alle Einkünfte wahrheitsgetreu bei der Steuererklärung angebe, dann erspare ich mir einen gewissen Steuerbetrag zu zahlen. Wenn Menschen einen Vertrag nicht einhalten, dann wahrscheinlich deswegen, weil es sie Zeit, Geld oder gar beides gekostet hätte, diesen einzuhalten.
Wie ist es, wenn ich eine Geldbörse mit Geld und Kontaktdaten des Besitzenden auf dem Boden finde? Kontaktiere ich diesen oder nehme ich das Geld und fühle mich nicht gezwungen, das Geld und die Geldbörse zu retournieren? Genau dieses Szenario nahmen sich VerhaltensökonomInnen für eine Studie zu „ziviler Ehrlichkeit“ rund um den Erdball an.
Ehrlichkeit rund um den Globus
In dieser kürzlich erschienen Studie von Cohn et al. (2019) im angesehenen Science Journal, untersuchen die AutorInnen in 355 über 40 Länder verteilten Städten den Zielkonflikt des Ehrlichseins und des materiellen Eigeninteresses. Hier taten StudentInnen des Forschungsteams der Studie so, als ob sie gerade eine Geldbörse mit einem Schlüssel, Geld, einer Einkaufsliste und Visitenkarten auf der Straße gefunden hätten. Die Einkaufsliste und Visitenkarte war in der jeweiligen Landessprache formuliert, um zu signalisieren, dass es sich um eine einheimische Person handelt. Sie betraten dabei Gebäude mit einer Rezeption wie Banken, Hotels oder Polizeistationen mit der Auskunft „Hallo! Ich habe gerade diese Geldbörse auf der Straße um die Ecke gefunden. Jemand muss diese verloren haben. Ich bin in Eile und muss sofort los. Könnten Sie sich bitte darum kümmern?“ Daraufhin wurde die Geldbörse über den Tresen geschoben. In der Studie wurde nun geschaut in welchen Ländern und unter welchen Bedingungen die Person auf der Visitenkarte kontaktiert und über den Fund informiert wurde.

Abbildung 1: Ehrliches Verhalten rund um den Globus mit Geld und ohne Geld im Portmonee (Cohn et al. 2019)
Die Inhalte der Geldbörse wurden im Studiendesign variiert. Das heißt, in einigen Fällen befand sich in der Geldbörse Geld und in anderen Fällen befand sich kein Geld in der Geldbörse. Was denken Sie? Haben mehr Personen die Geldbörse retourniert, wenn kein Geld oder wenn Geld drin war?
In allen Ländern, bis auf Mexiko, geben Personen die Geldbörse eher zurück, wenn sich ein Geldbetrag darin befindet, als wenn sich kein Geld darin befindet. Die Schweiz steht an der Spitze und ca. 75% retournieren die Geldbörse ohne Geld und 80% mit Geldinhalt. Selbst in ärmeren Ländern wie zum Beispiel Thailand geben ca. 40% die Geldbörse zurück, obwohl sie sich das Geld hätten einstecken können.
Warum sind Menschen ehrlich?
Die AutorInnen haben verschiedene Gründe für dieses überraschende Verhalten untersucht. Unter anderem haben sie geschaut, ob Menschen Angst vor Strafe hatten und auf die Strenge der Gesetzeslage im Falle des Eigentumsverlustes kontrolliert sowie auf die Anzahl von anwesenden Personen und die Präsenz von Überwachungskameras am Fundort. Diese Faktoren haben jedoch keinen signifikanten Einfluss auf das Verhalten der Finder.
Vielleicht war auch der Betrag in der Geldbörse zu klein? Die ForscherInnen erhöhten in drei Ländern den Betrag von 13Euro auf ca. 95Euro. Das Resultat wurde hier sogar noch eindeutiger und es wurden mehr Geldbörsen mit dem höheren Betrag als mit dem niedrigeren Geldbetrag retourniert.
Das sollte für viele von Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, eine Überraschung sein. In der Studie wurden nicht-ExpertInnen in den USA befragt, wie sie die Situation einschätzten und was sie glaubten, wie viele Menschen die Geldbörse zurückgäben. Bei dem hohen Geldbetrag sagten die Befragten vorher, dass ca. 55% ehrlich sind und glaubten, dass wenn kein Geld involviert ist über 70% ehrlich sein würden. Die ExpertInnen haben ebenfalls etwas geringere Rücklaufquoten in dem Geld-Treatment im Vergleich zum Nicht-Geld-Treatment vorhergesagt und insgesamt ca. 4% höhere Rücklaufquoten ohne Geld. Das Ergebnis ist demnach für die meisten Laien und für die meisten ExpertInnen eine Überraschung.
Die ForscherInnen fanden zwei Gründe, warum Menschen in der beschriebenen Situation ehrlich sind:
1. Menschen sind soziale Wesen und machen sich Gedanken über das Wohlergehen anderer. Die ForscherInnen fanden dies heraus, indem sie einmal den Schlüssel entfernten, der keinen (monetären) Eigenwert für die FinderInnen hat, aber einen großen Wert für die BesitzerInnen. Signifikant mehr Geldbörsen mit Schlüssel als ohne Schlüssel wurden retourniert.
2. Menschen möchten ein positives Selbstbild von sich selbst haben. Eine Geldbörse mit Geld zu behalten, würde sich wie stehlen anfühlen. Dies fanden die ForscherInnen in einer Umfrage heraus. Das heißt, Menschen sind ehrlich, weil sie sich nicht mit dem Bild eines Diebes identifizieren möchten.
Frauen sind ehrlicher als Männer
In der Verhaltensökonomie gibt es sehr viele Experimente zum Thema Ehrlichkeit. Ein beliebtes Experiment ist Menschen unbeobachtet einen Würfel würfeln zu lassen und die Zahl, die sie obenauf sehen, aufzuschreiben. Für höhere Zahlen werden TeilnehmerInnen höher entlohnt. Das heißt für eine gewürfelte 1 gibt es vielleicht 20 Cent für eine 2 gibt es 40 Cent und so weiter. Im Durchschnitt sollte der Mittelwert von 3.5 in der Augenzahl beobachtet werden. Menschen sind hier aber im Durchschnitt unehrlich und der beobachtete Mittelwert ist signifikant höher als 3.5. Ich selbst habe hierzu eine Studie durchgeführt, die ein schon etabliertes Ergebnis bestätigt hat: Frauen sind durchschnittlich ehrlicher als Männer. In unserer Studie konnten wir dies mit ausgeprägteren prosozialen Präferenzen von Frauen erklären (Grosch & Rau 2017).
Österreicher und Ehrlichkeit
Zwei VerhaltensökonomInnen aus Österreich, Pruckner & Sausgruber (2013), haben vor ein paar Jahren ebenfalls ein sogenanntes Feldexperiment in Vorarlberg im Zeitungsverkauf durchgeführt. Die meisten werden diese Zeitungsverkäufe kennen (s. Abbildung), die auf Vertrauensbasis operieren. Die Zeitungen können entnommen werden und KundInnen werden auf einem Geldkasten über die Kosten informiert. Ergebnis dieser Studie: Nur 41 von 120 KundInnen haben gezahlt – d.h. ca. zwei Drittel der KundInnen zahlt nicht. Die VerhaltensökonomInnen testeten nun den Effekt unterschiedlicher Hinweise auf dem Geldkasten, um zu testen, ob ein Appell an das Gesetz oder die Moral die Zahlungsbereitschaft erhöhen kann:
- In der Kontrollgruppe: „Die Zeitung kostet 0,60€.“
- In Treatment „Gesetz“: „Die Zeitung kostet 0,60€. Die Zeitung zu stehlen ist strafbar.“
- In Treatment „Moral“: „Die Zeitung kostet 0,60€. Wir danken Ihnen für Ihre Ehrlichkeit.“

Abbildung 2: Zeitungsverkauf in Vorarlberg (aus Pruckner & Sausgruber 2013)
Diese angebrachten Hinweise können als Nudges gesehen werden, die Menschen zu einer ehrlicheren Verhaltensweise bewegen sollen.
Die Ergebnisse kurz zusammengestampft: Eine Erinnerung an das Gesetz führt zu keiner Veränderung des Verhaltens. Der Appell an die Moral jedoch, erhöht die Zahlungen des einen schon zahlenden Drittels. Auch wenn der Appell nach einiger Zeit abgenommen wird, hält der positive Effekt noch über Wochen an.
Die Moral der G‘schicht
Damit ein Moralappell Wirkung entfalten kann, muss der Mensch überhaupt gewisse Moralstandards besitzen. Erst dann kann man die eigene unehrliche Handlung vor sich selbst nicht mehr als moralisch einwandfrei rechtfertigen. Oder wie es Rousseau einmal ausgedrückt hat:
„Die Natur betrügt uns nie. Wir sind es immer, die wir uns selbst betrügen.“
Literatur
Cohn, A., Maréchal, M. A., Tannenbaum, D., & Zünd, C. L. (2019). Civic honesty around the globe. Science.
Grosch, K., & Rau, H. A. (2017). Gender differences in honesty: The role of social value orientation. Journal of Economic Psychology, 62, 258-267.
Pruckner, G. J., & Sausgruber, R. (2013). Honesty on the streets: A field study on newspaper purchasing. Journal of the European Economic Association, 11(3), 661-679.
Titelfoto von Sarah Kurfess (gefunden auf https://unsplash.com)